Lesebühne Vision und Wahn im Frühling.
I
Blumen und Menschen sind sich in vielen Dingen gar nicht so unähnlich. Wahrscheinlich waren wir früher auch Blumen, bevor aus der Flora die Fauna und daraus die Affen und daraus wir hervorgegangen sind. Schließlich heißt unsere Lieblingsbeschäftigung immer noch Fortpflanzung, obwohl bei uns mittlerweile dabei überhaupt nicht gepflanzt oder gegärtnert wird. Allerdings können die Blumen Dinge, die wir bereits verlernt haben. Im Gegensatz zu uns können die sich den ganzen Aufwand mit Schminken, Berghain, Hüftschwung, PushUp und K.O.-Tropfen einfach sparen, weil sie sich selbst bestäuben können. Der Mensch versucht das zwar auch immer wieder, das mit der Selbstbestäubung, aber geklappt hat das zum letzten Mal vor 2017 Jahren irgendwo im nahen Osten.
Pflanzen unterscheidet man grob in Nackt- und Bedecktsamer. Bei Menschen sind da die Unterschiede eher fließend, denn zwischen Pyjamaschläfer und Exhibitionist haben sich während der Menschwerdung viele Mischformen herausgebildet. Generell können die Nacktsamer breiter streuen, schneller zur Sache kommen, aber auch weniger bescheißen, weil der Fummel fehlt, um andere zu beeindrucken.
Nacktsamer sind nämlich meistens Anemophil. Jetzt denkt man vielleicht an Anemonen, also an die komischen korallenartigen Tierchen mit Fangarmen und einem Loch in der Mitte. Und nein, Anemophilie ist kein Taucherfetisch, sondern der Fachausdruck für WINDBESTÄUBUNG. Und weil der Wind nicht so wählerisch ist beim Bestäuben, sind diese Pflanzen auch nicht so bunt. Apropos Taucherfetisch: Auch Hydrophilie hat nichts mit den Spermafäden in unseren Spaßbad-Whirlpools zu tun. Tatsächlich gibt es in natürlichen Gewässern sehr potente Wasserpflanzen, die sich vermehren, indem sie bei einer bestimmten Temperatur vereint und gleichzeitig ins Wasser ejakulieren und sich dadurch befruchten.
II
Die Zoophilie, also der Sex mit Tieren, findet bei den Menschen nur noch vereinzelt und meistens in ländlichen Gebieten statt. Bei Blumen ist er dagegen sehr weit verbreitet. Nur haben die Blumen meistens auch Erfolg dabei. Wobei die Tiere beim Sex mit den Pflanzen meistens gar nicht wissen, dass sie gerade Sex haben. Man nennt das eigentlich Missbrauch. Die meisten Blumen sind entomophil. Entomophilie ist nicht etwa Sex mit einer Ente. Sondern allgemein der Sex mit Insekten … Meistens werden diese dabei von den nymphomanen Blumen mit schrillen Farben, betörenden Düften und Süßigkeiten gefügig gemacht.
Menschen haben gelernt, dass man zumindest von fremden Männern nichts Süßes nehmen sollte. Auf Düfte und Fummel fällt Mensch aber, besonders der männliche, noch bis ins hohe Alter herein, wobei es den Menschen beim Verführen nicht primär um Vermehrung geht, sondern darum, sich mit Schönheit Besitz und Status zu erkaufen – oder umgekehrt. Der Gegenüber wird olfaktorisch und optisch manipuliert und dann solange becirct, bis sich Sucht und Gewöhnung einstellen. Dann vegetieren die beiden Menschen in einer Art parasitären Symbiose nebeneinander her.
Bei zoophilen Pflanzen ist der Sex dagegen immer eine Win-Win-Situation. Melittophile bezahlen Bienen mit Zucker. Die Bienen machen daraus Honig, ein unverderbliches, sehr leckeres Lebensmittel mit unbegrenztem Haltbarkeitsdatum.
Hummeln stehen übrigens latent auf Obst. Weil sie längere Haare haben, bleibt da auch mehr Blütenstaub hängen. Je länger die Haare, desto dicker der Stempel. Das ist beim Menschen nicht immer so.
Blumen machen sich also nur hübsch, um mit einem brummenden Lebewesen, das sie nicht kennen, Sex zu haben, für den sie dann mit Essen bezahlen. Im Endeffekt ist das Blumenverhalten also durchaus mit der menschlichen Ehe vergleichbar.
III
Zu den Wesen, die sich mit Zucker zum Sex verführen lassen, gehören auch die Schmetterlinge. Schmetterlinge sind ja im Grunde fliegende Geschlechtsorgane. Für ihre Bestimmung, nämlich hübsch auszusehen und Sex zu haben, hatten sie sich zuvor extra verpuppt und spezialisiert. Damit sie besonders gut in dem sind, was sie tun sollen, sind alle anderen Organe auf ein Minimum beschränkt worden. Was für ein Männertraum: Von Geburt an rießige Oberarme, geile Tatoos, kleines Herz, kleiner Magen, große Leber und den Größten… Und alle Weiber fliegen auf dich. Aber wir schweifen ab. Auch bei den lepidopterophilen gibt es sehr ausgefallene Spielarten der Liebe. So ist die Psychophilie nicht etwa die Neigung, besonders gern Sex mit Verrückten zu haben, sondern die Liebe einer Pflanze zu Tagfaltern.
Myiophile Blumen haben sich auf Sex mit Fliegen spezialisiert. Bei diesen Blumen (Fleischpflanzerl) gibt es einige schwarze Schafe, die ihre Begatter nur mit Essensdüften anlocken und nach dem Akt nicht das halten, was sie versprechen. Die sind also eher so drauf, wie die Aufreißer in den Dorfdiskos.
Wie die Fliegen sind auch die Käfer nicht so die süßen im Tierreich. Jeder weiß, was die manchmal so essen… Und so sind die Düfte bei den myiophilen und cantarohilen Pflanzen dann manchmal auch, sagen wir mal Geschmacksache. So wie bei den Menschen, die sich mit Chanel Nr. 5, Patchoulie oder Lawendel überschütten …
IV
Kommen wir nun zu den ausgefallenen Praktiken: Chiropterophilie ist sozusagen die SM-Variante des Sexuallebens der Blumen. Chiropterohile haben meistens nachts Sex, und meistens mit Fledermäusen. Solche Blumen müssen sehr robust sein und sehr viel zu Essen bereitstellen, da die Bestäuber sonst woanders essen. Spannend wird es bei der sogenannten Ornithophilie, also den Sex mit Vögeln. Manche denken dabei sofoert an Men & Chicken. Aber bei den Pflanzen ist dies die schönste Form der Vermehrung. Schön deshalb, weil diese Blumen die schönsten sind, weniger Parfüm auftragen und nicht jeden ranlassen.
Die meisten floralen Sexdienstleister unter den Vögeln sind zudem ebenfalls sehr schön. Die Kolibris sind aber die Rassisten im ältesten Gewerbe der Welt, weil sie sehr oft nur eine bestimmte Art Blume bekuscheln. Orchideen betreiben einen sehr hohen Aufwand, um die Kolibris zu beeindrucken. Weil diese zu den kleinsten Wirbeltieren gehören und teilweise öfter mit den Flügeln schlagen müssen, als Insekten, brauchen sie beim Bestäuben auch sehr viel Energie. Vögel vögeln Pflanzen nur im Fliegen und wenn die Orchidee dem vögelnden Vogel nicht ordentlich Zucker gibt für das Bestäuben, dann kann so ein Kolibri während des Aktes auch einfach so verhungern.
Was lernen wir daraus? Neben und Kondom und den etwaigen blauen Pillen sollte man immer auch etwas Süßes neben dem Bett liegen haben, denn niemand will, dass jemand auf einem oder unter einem beim Sex stirbt.
Deshalb legen sich Orchideen auch so ins Zeug und blühen einzigartig, damit die eine Kolibriart mit dem ganz besonders gekrümmten Schnabel sie auch findet. Einen Vergleich zum menschlichen Verhalten lassen wir hier lieber.
Die Moral von der Geschichte ist aber: Wenn man sich ordentlich Mühe gibt und ein bisschen auf sein Gefieder achtet, dann bekommt man für eine gute Performance auch eine anständige Gegenleistung.
Txt und Bild: Thomas Manegold
Hat dies auf THOMAS MANEGOLD rebloggt.